Bad Homburg, 04.04.2019 14:30 Uhr
„Du bist ein Mensch, von Gott geliebt“

Hospizarbeit mit Kronenkreuz gewürdigt
Zum Abschluss der 29. Arnoldshainer Hospiztage ist Pfarrerin Helgard Kündiger mit dem goldenen Kronenkreuz der Diakonie ausgezeichnet worden. „Sie haben über Jahrzehnte hinweg die Hospizarbeit in unserer Landeskirche geprägt und viele wichtige Impulse gesetzt. Ihnen war es wichtig, dass die Hospizarbeit in unserer Kirche ihren Platz hat und Teil unseres christlichen Auftrags ist“, sagte Heinke Geiter, Vorsitzende der AG-Hospize der Evangelischen Kirche in Hessen und Nassau (EKHN) in ihrer Laudatio für Kündiger.2003 gründete die 64-Jährige nach jahrelanger Vorarbeit den Bad Homburger Hospiz-Dienst e.V. Zuerst waren es nur ein paar ehrenamtlich Engagierte, die den Gedanken der Hospizbewegung weiter trugen. Heute betreuen drei hauptamtliche Hospizfachkräfte sowie 30 ehrenamtliche Hospizhelferinnen und 8 Hospizhelfer Sterbende und ihre Angehörigen in Bad Homburg und in der Region Usinger Land.
Dazu besuchen sie die Patienten, deren „Lebenshorizont sichtbar eröffnet ist“ wie Kündiger es formuliert. Hospizhelferinnen sind da, wo ihre Unterstützung gebraucht wird. Sie sitzen zum Beispiel mit offenen Ohren am Bett, halten schweigend eine Hand, singen ein Lied oder sprechen ein Gebet. „Uns ist die menschliche Teilnahme und Nähe wichtig“, sagt Kündiger. „Es geht nicht darum zu missionieren. Manchmal aber darum, eine Fixierung auf die eigene Schuld an der jetzigen Situation (die sich auch in der quälenden Frage äußert, womit ich das verdient habe`) durch Anteilnahme zu mindern. Ein sterbender Mensch braucht das Vertrauen eines anderen Menschen, um die Verzweiflung im Angesicht des Todes oder die Frage nach dem Sinn des Lebens aushalten zu können. Als christlich motivierte Hospizhelfer versuchen wir durch unser Dasein zu zeigen: `Du bist ein Mensch, von Gott geliebt, egal wie lieblos Du Dich gerade fühlst`“, sagt Kündiger. Der Verein wird von 390 Mitgliedern, darunter auch viele Kirchengemeinden, getragen und unterstützt.
Zu Beginn ihrer Tätigkeit als Krankenhausseelsorgerin, 1993 in Bad Homburg, hatte die Pfarrerin erlebt, dass im modernen Gesundheitssystem Tod und Sterben verdrängt wurden, die Menschen einsam starben und die Toten möglichst unauffällig entfernt wurden. „Diese Tabuisierung von Sterben und Tod aufbrechen und dafür Sorge tragen, dass unsere Gesellschaft den Tod als Teil unseres Lebens begreift und dass auch im Sterben und im Tod die Würde der Menschen gewahrt bleibt“, beschreibt Kündiger ihre damalige Vision.
Die „Sorge für die Seele“ bewegte Kündiger bereits während ihrer Krankenpflegeausbildung im Frankfurter St. Markuskrankenhaus. Während ihres darauf folgenden Studiums arbeitete sie zeitweise als Krankenschwester im Tübinger Tropenkrankenhaus. Hier wurden schon damals ganz bewusst auch „austherapierte“ Patienten aufgenommen, um ihnen ein würdiges Leben bis zuletzt und ein Sterben in Ruhe zu ermöglichen. So kam die junge Theologiestudentin erstmals mit hospizlicher Pflege und palliativer Medizin in Berührung. Seit dieser Erfahrung dachte sie darüber nach, was Menschen ein Sterben in Würde ermöglicht und welche Rolle ihr theologischer Hintergrund dabei spielen könnte. „Zunächst einmal komme ich als Mensch, nicht als christlich versierte Allround-Könnerin. Ich komme mit meinem Glauben, meiner Ausbildung, aber auch mit meinen jeweiligen Stärken und Schwächen. Zum anderen: auch kirchenferne, ja selbst areligiöse Menschen sehnen sich nach einem offenen Gespräch über ihr Leben“. Kündiger folgerte daraus, dass Seelsorge auch dann stattfindet, wenn weder ein Bibelwort noch ein theologischer Grundbegriff zur Sprache kommt.
Diese Grundhaltung ist für sie gerade in ihrer Arbeit als Hospizseelsorgerin wichtig geworden, denn sterbende Menschen sind oft ebenso sehnsüchtig wie verletzlich. Kündiger hat erfahren, dass in der Hospizarbeit oft gilt: „weniger ist mehr“.
Für die Sterbebegleitung, beziehungsweise intensive, ergebnisoffene Gespräche fehlen im Krankenhaus und Pflegeheim, wie in anderen Bereichen der Gesellschaft, oft Zeit und Übung. Ungefähr zwei Drittel der Sterbenden im Krankenhaus, Pflegeheim oder zu Hause seien, so Kündigers Erfahrung, dankbar für das Angebot und nehmen die hospizliche Begleitung gerne an. Ein Drittel reagiere ablehnend auf das Angebot. Aber das sei, so Kündiger, auch völlig in Ordnung. Besonders freut sie sich darüber, dass zunehmend mehr Menschen von sich aus nach hospizlicher Begleitung oder Hospizseelsorge fragen. Sie wünscht sich, dass diese Angebote in den christlichen Gemeinden der Zukunft selbstverständlich bekannt sind und angenommen werden. Dazu gehören auch kirchliche Angebote für Trauer- oder Angehörigenbegleitung.
Doch nicht nur um die Etablierung der Hospizarbeit im Hochtaunus hat sich die Theologin maßgeblich gekümmert. Auch um die Vernetzung mit anderen Hospizinitiativen hat sie sich bemüht. 1997 gründete sie zusammen mit anderen die „AG-Hospize in der EKHN“, in der heute ca. 30 kirchliche und kirchennahe sowie diakonische Hospizgruppen mitarbeiten. Im Sprecherinnenrat und Leitungsausschuss der AG war Kündiger bis vor drei Jahren Mitglied und hat lange Zeit die Leitung der AG übernommen. „Auch an der Handreichung für Hospizarbeit `Sterben ist Teil des Lebens`, die von der AG Hospize 2003 herausgegeben wurde, haben sie maßgeblich mitgearbeitet. Mit vielen Hinweisen haben sie andere Initiativen in unserem Kirchengebiet ermutigt und ihnen bei der Gründung eines Hospizvereins geholfen“, sagte Heinke Geiter während der Verabschiedung von Pfarrerin Kündiger im Martin-Niemöller-Haus in Schmitten. Bereits Mitte März hatte der Hospizdienst Bad Homburg seine Gründerin und langjährige Vorsitzende verabschiedet. Mit jeweils einer halben Stelle bleibt sie noch bis zum Sommer an den Hochtaunuskliniken Bad Homburg, beziehungsweise als Hospizpfarrerin im stationären und ambulanten Bereich, tätig.
Am 18. August wird sie in der Bad Homburger Gedächtniskirche aus ihrem Dienst als Hospiz- und Krankenhausseelsorgerin verabschiedet.