Bad Homburg, 10.05.2023 11:54 Uhr
Und vergib uns unsere Schuld!
Zum Bekenntnis der EKHN gegenüber queeren Menschen (Andacht von Dr. Tobias Krohmer, Referent für Gesellschaftliche Verantwortung im Dekanat Hochtaunus)
Mit der bedingungslosen Kapitulation am 7. Mai 1945 endete nicht nur der Zweite Weltkrieg in Europa, sondern für viele Menschen auch die Verfolgung durch das nationalsozialistische Regime. Sie konnten wieder ein Leben in Freiheit führen. Für eine Gruppe, die die Nazis verfolgt hatten, galt das jedoch nicht: Schwule Männer wurden nach der im Dritten Reich verschärften Version des § 175 weiterhin strafrechtlich belangt. Und das ohne Einschränkung bis 1969.Die strafrechtliche Verfolgung von einvernehmlichen sexuellen Handlungen, ja, von Liebesbeziehungen zwischen erwachsenen Männern überhaupt hatte ihre Wurzeln in der christlichen Sexualmoral. Mit biblischen Aussagen aus dem Alten und dem Neuen Testament wurde diese Verfolgung gerechtfertigt. Bis heute lehnen evangelikale christliche Gruppierungen daher jegliche Akzeptanz homosexueller Lebensformen ab.
Aber auch die großen Kirchen, die evangelische ebenso wie die katholische, widersprachen der fortgesetzten Verfolgung schwuler Männer nach 1945 keineswegs, sondern befürworteten sie. Das hat sich zwar zum Glück mittlerweile geändert. Vor allem bei der evangelischen, aber auch bei der katholischen Kirche. Doch weil sie um ihre frühere Haltung in der Sache weiß, hat eine der beiden evangelischen Landeskirchen in Hessen, die Evangelische Kirche in Hessen und Nassau (EKHN), auf ihrer Frühjahrssynode vor einer Woche ein Schuldbekenntnis gegenüber queeren Menschen verabschiedet. Hiermit soll dem Faktum Rechnung getragen werden, dass auch in dieser Landeskirche schwule, lesbische, bisexuelle, Trans-, intersexuelle, nonbinäre und andere queere Menschen Diskriminierung und Ablehnung erfahren haben.
Nun bin auch ich queer. Doch ich weiß nicht genau, wie ich das Schuldbekenntnis finden soll. Mir stellen sich da nämlich einige Fragen: Wer bekennt hier Schuld in Bezug auf wen? Wenn die Kirche bekennt, schuldig an queeren Menschen geworden zu sein, impliziert das nicht, dass sie nicht Teil der Kirche sind? Sie sind ja dann Objekt der Schuld. Die Kirche ist ihr Subjekt. Also werden durch das Schuldbekenntnis Queere nicht wieder aus der Kirche ausgeschlossen, wenn auch in noch so guter Absicht?
Zugleich finde ich ein Bekenntnis der Kirche zur Verantwortung für ihre queeren Mitglieder schon gut, ja, sogar wichtig. Wir queere Menschen sind schließlich Teil von Gottes Schöpfung. Wir sind, wie wir sind, weil wir so geboren sind. Unsere Natur kann mithin nicht anders als gottgewollt und von Gott geliebt gelten. Und daher auch als schützenswert.
Wenn aus dem Bekenntnis folgt, dass Kirche auch dann an unserer Seite stehen wird, wenn sich der gesellschaftliche Wind drehen sollte (so, wie das etwa schon in den USA geschieht), dann begrüße ich es sehr. Dann weiß ich mich in Gemeinschaft mit Menschen, die wie ich an einen Gott glauben, dessen Kinder alle füreinander einstehen, egal, wie unterschiedlich sie auch sein mögen. Weil wir den Glauben teilen, alle geliebte Kinder Gottes zu sein.