Bad Homburg, 07.03.2023 16:43 Uhr
Anvertraute Talente - eine andere Lesart
Fast jeder kennt es: das Gleichnis von den anvertrauten Talenten (Math. 25,14-27). „Ein alter Hut“ könnte man denken. Dass man dieses Gleichnis auch ganz anders deuten kann und was die anvertrauten Talente mit der Situation unsrer Kirche zu tun haben könnten, zeigt uns Tobias Krohmer, Referent für Gesellschaftliche Verantwortung in seiner Andacht.
Das Gleichnis von den anvertrauten Talenten: Ein Mann geht auf Reisen und hinterlässt seinen Dienern sein Vermögen. Einer bekommt fünf, einer zwei Talente und einer ein Talent Silber. Die ersten zwei wirtschaften gut damit und verdoppeln in der Abwesenheit ihres Herrn das anvertraute Vermögen. Der dritte fürchtet sich aber vor seinem Herrn, der „erntet wo er nicht gesät hat und sammelt wo er nicht ausgestreut hat“. Er vergräbt das Geld und versteckt es.
Als der Mann zurück kommt hält er Abrechnung mit seinen Dienern. Hoch erfreut zeigt er sich von den beiden ersten, die sein Vertrauen nicht enttäuscht und „tüchtig und treu“ sein Vermögen verdoppelt haben. Ihnen übergibt er gleich mehr Verantwortung. Den dritten Diener, der ihm nur das eine Talent zurückgeben kann, nennt er aber nichtsnutzig, faul und schlecht. Wenigstens auf die Bank hätte er das Geld bringen können, wenigstens Zinsen hätte es gegeben.
Den dritten Diener verjagt er und wirft ihn „hinaus in die äußerste Finsternis“. Das eine Talent bekommt aber der erste Diener, denn: Wer hat dem wird gegeben und wer nicht hat, dem wird auch noch weggenommen, was er hat.
(vgl. Matthäus 25, 14-27, Einheitsübersetzung)
Die gängige Interpretation dieses Gleichnisses ist ja, dass es bei den Talenten um die besonderen Fähigkeiten geht, die jedem Menschen mitgegeben sind. Das Gleichnis soll davor warnen, diese Fähigkeiten nicht zu nutzen, sie brachliegen zu lassen. Wir sollen aufgerufen werden, unsere Begabungen in der je eigenen Weise „gewinnbringend“ einzusetzen.
Ich halte diese Deutung für zu kurz gegriffen. Sie übersieht vor allem, dass den Dienern letztlich allen das Gleiche anvertraut wird, nur in unterschiedlichem Umfang. Es ist ja nicht so, dass der eine Gold, der nächste Silber und der Dritte wieder ein anderes kostbares Metall bekäme. Nein, alle bekommen sie Silber. Nur – wie gesagt – unterschiedlich viel davon. Fähigkeiten und Begabungen sind dagegen nichts, was sich von Mensch zu Mensch nur der Quantität nach unterscheidet, sondern auch der Qualität. Der eine kann gut singen, die andere gut Auto fahren.
Die anvertrauten Talente im antiken Sinne als Talente im heutigen Sinne zu interpretieren, passt also nicht wirklich. Vielmehr müssen wir sie als etwas verstehen, das uns als Menschen allen der Art nach gleich geschenkt wird, was aber im Umfang unterschiedlich ausgeprägt sein kann. Mein Vorschlag ist, dieses Etwas im „Glauben“ zu sehen. Und zwar Glauben verstanden als Hineingenommensein in die Liebe Gottes, als Ergriffenwerden von Gottes „Ja!“ zum Menschen.
Wenn wir viel von einem so verstandenen Glauben haben, dann kann er sich wohl vermehren, wie es bei den „guten Dienern“ in der Geschichte passiert. So glaubend verstehen wir es, Menschen mit hineinzunehmen in die Liebe Gottes, sie sie erfahren zu lassen, sie mit Gottes Liebe zu affizieren. Haben wir dagegen wenig von diesem Glauben, dann kann es so zugehen, wie mit dem „schlechten Diener“: Wir hocken dann auf dem Geschenk des Glaubens und bringen ihn nicht in die Welt. Selbst kaum überzeugt von der Liebe Gottes, vermögen wir nicht andere davon zu überzeugen, sich davon hin- und mitreißen zu lassen.
In dieser Interpretation bekommt das Gleichnis für uns heute eine geradezu brisante Bedeutung. Als Kirche stehen wir vor einer Situation, in der wir uns zurückziehen, unsere Wunden lecken und uns mit den wenigen zufrieden geben können, die treu bei uns bleiben. In dem Fall trauen wir dem Geschenk des Glaubens offensichtlich nicht wirklich. Wir sind wie der schlechte Diener. Und wenn die Geschichte Recht hat, dann bringen wir dadurch unseren Untergang über uns selbst.
Wir können aber auch das, was uns geschenkt ist, in die Welt tragen. Wir können Menschen das Evangelium, die Botschaft von der uneingeschränkten Liebe Gottes erfahren und erleben lassen. Liebe erfahren und erleben lässt sich nicht so sehr, indem man darüber nur redet, sondern indem man sie lebt. Liebe erlebt man dann, wenn aus ihr heraus gehandelt wird. Und dieses liebevolle Handeln in und für die Welt hat einen Namen: Diakonie.
Dort Menschen Liebe erfahren zu lassen, wo sie bitter fehlt, das ist diakonisches Handeln im eigentlichen Sinne des Wortes. Es ist tätige Verkündigung des Evangeliums und dadurch auch nachhaltige Vermehrung des Glaubens. Dabei ist unerheblich, ob die, denen Liebe geschenkt wird, am Ende von deren Herkunft aus Gott Kenntnis erlangen oder nicht. Solange sie Liebe erfahren und erleben, ist die Botschaft von der Annahme durch Gott in der Welt angekommen. Sie ist so angekommen, wie sie gedacht ist. Und das Dunkel, in dem wir versinken, wenn wir die Liebe nicht in die Welt tragen, ist ein für alle Mal gebannt. Amen.
Matthäus 25,14-27, Einheitsübersetzung
14 Es ist wie mit einem Mann, der auf Reisen ging. Er rief seine Diener und vertraute ihnen sein Vermögen an. 15 Dem einen gab er fünf Talente Silbergeld, einem anderen zwei, wieder einem anderen eines, jedem nach seinen Fähigkeiten. Dann reiste er ab. Sofort 16 ging der Diener, der die fünf Talente erhalten hatte hin, wirtschaftete mit ihnen und gewann noch fünf weitere dazu. 17 Ebenso gewann der, der zwei erhalten hatte, noch zwei weitere dazu. 18 Der aber, der das eine Talent erhalten hatte, ging und grub ein Loch in die Erde und versteckte das Geld seines Herrn. 19 Nach langer Zeit kehrte der Herr jener Diener zurück und hielt Abrechnung mit ihnen. 20 Da kam der, der die fünf Talente erhalten hatte, brachte fünf weitere und sagte: Herr, fünf Talente hast du mir gegeben; sieh her, ich habe noch fünf dazugewonnen. 21 Sein Herr sagte zu ihm: Sehr gut, du tüchtiger und treuer Diener. Über Weniges warst du treu, über Vieles werde ich dich setzen. Komm, nimm teil am Freudenfest deines Herrn! 22 Dann kam der Diener, der zwei Talente erhalten hatte, und sagte: Herr, du hast mir zwei Talente gegeben; sieh her, ich habe noch zwei dazugewonnen. 23 Sein Herr sagte zu ihm: Sehr gut, du tüchtiger und treuer Diener. Über Weniges warst du treu, über Vieles werde ich dich setzen. Komm, nimm teil am Freudenfest deines Herrn! 24 Es kam aber auch der Diener, der das eine Talent erhalten hatte, und sagte: Herr, ich wusste, dass du ein strenger Mensch bist; du erntest, wo du nicht gesät hast, und sammelst, wo du nicht ausgestreut hast; 25 weil ich Angst hatte, habe ich dein Geld in der Erde versteckt. Sieh her, hier hast du das Deine. 26 Sein Herr antwortete und sprach zu ihm: Du bist ein schlechter und fauler Diener! Du hast gewusst, dass ich ernte, wo ich nicht gesät habe, und sammle, wo ich nicht ausgestreut habe. 27 Du hättest mein Geld auf die Bank bringen müssen, dann hätte ich es bei meiner Rückkehr mit Zinsen zurückerhalten. 28 Nehmt ihm also das Talent weg und gebt es dem, der die zehn Talente hat! 29 Denn wer hat, dem wird gegeben werden und er wird im Überfluss haben; wer aber nicht hat, dem wird auch noch weggenommen, was er hat. 30 Werft den nichtsnutzigen Diener hinaus in die äußerste Finsternis! Dort wird Heulen und Zähneknirschen sein.
Das Gleichnis von den anvertrauten Talenten: Ein Mann geht auf Reisen und hinterlässt seinen Dienern sein Vermögen. Einer bekommt fünf, einer zwei Talente und einer ein Talent Silber. Die ersten zwei wirtschaften gut damit und verdoppeln in der Abwesenheit ihres Herrn das anvertraute Vermögen. Der dritte fürchtet sich aber vor seinem Herrn, der „erntet wo er nicht gesät hat und sammelt wo er nicht ausgestreut hat“. Er vergräbt das Geld und versteckt es.
Als der Mann zurück kommt hält er Abrechnung mit seinen Dienern. Hoch erfreut zeigt er sich von den beiden ersten, die sein Vertrauen nicht enttäuscht und „tüchtig und treu“ sein Vermögen verdoppelt haben. Ihnen übergibt er gleich mehr Verantwortung. Den dritten Diener, der ihm nur das eine Talent zurückgeben kann, nennt er aber nichtsnutzig, faul und schlecht. Wenigstens auf die Bank hätte er das Geld bringen können, wenigstens Zinsen hätte es gegeben.
Den dritten Diener verjagt er und wirft ihn „hinaus in die äußerste Finsternis“. Das eine Talent bekommt aber der erste Diener, denn: Wer hat dem wird gegeben und wer nicht hat, dem wird auch noch weggenommen, was er hat.
(vgl. Matthäus 25, 14-27, Einheitsübersetzung)
Die gängige Interpretation dieses Gleichnisses ist ja, dass es bei den Talenten um die besonderen Fähigkeiten geht, die jedem Menschen mitgegeben sind. Das Gleichnis soll davor warnen, diese Fähigkeiten nicht zu nutzen, sie brachliegen zu lassen. Wir sollen aufgerufen werden, unsere Begabungen in der je eigenen Weise „gewinnbringend“ einzusetzen.
Ich halte diese Deutung für zu kurz gegriffen. Sie übersieht vor allem, dass den Dienern letztlich allen das Gleiche anvertraut wird, nur in unterschiedlichem Umfang. Es ist ja nicht so, dass der eine Gold, der nächste Silber und der Dritte wieder ein anderes kostbares Metall bekäme. Nein, alle bekommen sie Silber. Nur – wie gesagt – unterschiedlich viel davon. Fähigkeiten und Begabungen sind dagegen nichts, was sich von Mensch zu Mensch nur der Quantität nach unterscheidet, sondern auch der Qualität. Der eine kann gut singen, die andere gut Auto fahren.
Die anvertrauten Talente im antiken Sinne als Talente im heutigen Sinne zu interpretieren, passt also nicht wirklich. Vielmehr müssen wir sie als etwas verstehen, das uns als Menschen allen der Art nach gleich geschenkt wird, was aber im Umfang unterschiedlich ausgeprägt sein kann. Mein Vorschlag ist, dieses Etwas im „Glauben“ zu sehen. Und zwar Glauben verstanden als Hineingenommensein in die Liebe Gottes, als Ergriffenwerden von Gottes „Ja!“ zum Menschen.
Wenn wir viel von einem so verstandenen Glauben haben, dann kann er sich wohl vermehren, wie es bei den „guten Dienern“ in der Geschichte passiert. So glaubend verstehen wir es, Menschen mit hineinzunehmen in die Liebe Gottes, sie sie erfahren zu lassen, sie mit Gottes Liebe zu affizieren. Haben wir dagegen wenig von diesem Glauben, dann kann es so zugehen, wie mit dem „schlechten Diener“: Wir hocken dann auf dem Geschenk des Glaubens und bringen ihn nicht in die Welt. Selbst kaum überzeugt von der Liebe Gottes, vermögen wir nicht andere davon zu überzeugen, sich davon hin- und mitreißen zu lassen.
In dieser Interpretation bekommt das Gleichnis für uns heute eine geradezu brisante Bedeutung. Als Kirche stehen wir vor einer Situation, in der wir uns zurückziehen, unsere Wunden lecken und uns mit den wenigen zufrieden geben können, die treu bei uns bleiben. In dem Fall trauen wir dem Geschenk des Glaubens offensichtlich nicht wirklich. Wir sind wie der schlechte Diener. Und wenn die Geschichte Recht hat, dann bringen wir dadurch unseren Untergang über uns selbst.
Wir können aber auch das, was uns geschenkt ist, in die Welt tragen. Wir können Menschen das Evangelium, die Botschaft von der uneingeschränkten Liebe Gottes erfahren und erleben lassen. Liebe erfahren und erleben lässt sich nicht so sehr, indem man darüber nur redet, sondern indem man sie lebt. Liebe erlebt man dann, wenn aus ihr heraus gehandelt wird. Und dieses liebevolle Handeln in und für die Welt hat einen Namen: Diakonie.
Dort Menschen Liebe erfahren zu lassen, wo sie bitter fehlt, das ist diakonisches Handeln im eigentlichen Sinne des Wortes. Es ist tätige Verkündigung des Evangeliums und dadurch auch nachhaltige Vermehrung des Glaubens. Dabei ist unerheblich, ob die, denen Liebe geschenkt wird, am Ende von deren Herkunft aus Gott Kenntnis erlangen oder nicht. Solange sie Liebe erfahren und erleben, ist die Botschaft von der Annahme durch Gott in der Welt angekommen. Sie ist so angekommen, wie sie gedacht ist. Und das Dunkel, in dem wir versinken, wenn wir die Liebe nicht in die Welt tragen, ist ein für alle Mal gebannt. Amen.
Matthäus 25,14-27, Einheitsübersetzung
14 Es ist wie mit einem Mann, der auf Reisen ging. Er rief seine Diener und vertraute ihnen sein Vermögen an. 15 Dem einen gab er fünf Talente Silbergeld, einem anderen zwei, wieder einem anderen eines, jedem nach seinen Fähigkeiten. Dann reiste er ab. Sofort 16 ging der Diener, der die fünf Talente erhalten hatte hin, wirtschaftete mit ihnen und gewann noch fünf weitere dazu. 17 Ebenso gewann der, der zwei erhalten hatte, noch zwei weitere dazu. 18 Der aber, der das eine Talent erhalten hatte, ging und grub ein Loch in die Erde und versteckte das Geld seines Herrn. 19 Nach langer Zeit kehrte der Herr jener Diener zurück und hielt Abrechnung mit ihnen. 20 Da kam der, der die fünf Talente erhalten hatte, brachte fünf weitere und sagte: Herr, fünf Talente hast du mir gegeben; sieh her, ich habe noch fünf dazugewonnen. 21 Sein Herr sagte zu ihm: Sehr gut, du tüchtiger und treuer Diener. Über Weniges warst du treu, über Vieles werde ich dich setzen. Komm, nimm teil am Freudenfest deines Herrn! 22 Dann kam der Diener, der zwei Talente erhalten hatte, und sagte: Herr, du hast mir zwei Talente gegeben; sieh her, ich habe noch zwei dazugewonnen. 23 Sein Herr sagte zu ihm: Sehr gut, du tüchtiger und treuer Diener. Über Weniges warst du treu, über Vieles werde ich dich setzen. Komm, nimm teil am Freudenfest deines Herrn! 24 Es kam aber auch der Diener, der das eine Talent erhalten hatte, und sagte: Herr, ich wusste, dass du ein strenger Mensch bist; du erntest, wo du nicht gesät hast, und sammelst, wo du nicht ausgestreut hast; 25 weil ich Angst hatte, habe ich dein Geld in der Erde versteckt. Sieh her, hier hast du das Deine. 26 Sein Herr antwortete und sprach zu ihm: Du bist ein schlechter und fauler Diener! Du hast gewusst, dass ich ernte, wo ich nicht gesät habe, und sammle, wo ich nicht ausgestreut habe. 27 Du hättest mein Geld auf die Bank bringen müssen, dann hätte ich es bei meiner Rückkehr mit Zinsen zurückerhalten. 28 Nehmt ihm also das Talent weg und gebt es dem, der die zehn Talente hat! 29 Denn wer hat, dem wird gegeben werden und er wird im Überfluss haben; wer aber nicht hat, dem wird auch noch weggenommen, was er hat. 30 Werft den nichtsnutzigen Diener hinaus in die äußerste Finsternis! Dort wird Heulen und Zähneknirschen sein.