Andacht von Christoph Wildfang, Pfarrer der Deutschen Protestantischen Kirche in Nordindien, Nepal und Bangladesh (ehemals Arnoldshain)
Gertraud tanzt alleine Tango im Keller. Anja tanzt sich die Seele aus dem Leib. Auch alleine. Die Frauen erzählen das in der Swagat-Gruppe meiner indischen Kirchengemeinde in Neu Delhi. Schon über 170 Tage Lockdown. Natürlich wegen des Virus da draußen. Wir treffen uns online an den Laptops zu unserem Freitagstreffen. Jede Frau und ich, wir sind nur kleine Kacheln. Aber alle sind happy, dass sie dabei sind. Und den Frauen läuft das Herz über. Was ihnen in dieser Zeit fehlt, ist die Gemeinschaft. Als Thema für den Nachmittag haben sie sich (ausgerechnet) das Thema "Tanzen" ausgesucht. Wir machen einen Tanzfilm, jede (ich auch) macht eine Minute und dann schneiden wirs fröhlich digital zusammen. Ich tanze den indischen Tanz Bhangra, aus dem Punjab. Die Frauen freuen sich. Nicht schlecht, sagen sie.Und dann erzählen sie einander und mir auch, was sie machen.
Eben Tango-tanzen im Keller. Die Kinder und Enkel lachen. Was soll´s sagt Gertraud. Und Monika erzählt, dass sie tanzt und dazu auch noch singt. Die Frauen erzählen fröhlich durcheinander. Wie ihre indischen Männer gucken, die Schwiegereltern. Aber diese Lockdown-Gefühle müssen raus. Zu oft drinnen. Weggehen, ausgehen - nur ganz kontrolliert. Keine Umarmungen. In diesen Zeiten hat Indien einen schweren Stand. Die Leute sehen die hohen Zahlen - und denken nicht, dass hier in Indien 1,4 Milliarden Menschen leben.
Die Frauengruppe und ich verabreden uns wieder. Da gibts 1000 Themen. Wir beten am Ende gemeinsam. Einige haben auch den fröhlichen Nachmittag zum Anlass genommen, ihr Herz auszuschütten. Es geht nicht immer (nur) um das Virus. Unser Leben auch hier in Indien kommt doch nicht zum Stillstand. Vielleicht fehlt uns manchmal der Mut, aber Angst haben wir trotzdem nicht. Wir teilen hier auch unseren Glauben. Bestärken uns. Sagen uns Worte, die tragen. Gott ist nicht abgehakt in diesen Zeiten. Wir lassen das Böse, die schlechten Nachrichten nicht in uns siegen. Wir setzen dagegen: Unsere Geschichte. Eben die vom Tanzen. Tango allein im Keller. Wir lachen gemeinsam und schweigen eine Runde, als Monika von ihrem schwerkranken Enkel erzählt. Auch im Online-Gottesdienst am Sonntag beten wir für ihn. In unseren Online-Gottesdiensten sind besonders die Fürbitten wichtig. Jede/r sagt etwas aus seinem Herzen. Wir teilen uns mit. Wir bleiben im Gebet beieinander. In der Millionenstadt Delhi (25 Millionen) sind wir auch manchmal nicht gleich schnell zu erreichen, auch, wenn wir in der gleichen Stadt leben. Wir teilen Fotos, schöne Sinnsprüche. Fühlen nach, was der Anderen fehlt. Wertschätzen. Lächeln. Und sind in Gedanken bei Gertraud, die jeden Morgen 30 Minuten alleine mit sich Tango tanzt. Und bei Anja, die sich alles Bedrückende aus der Seele tanzt.
Vielleicht probier ich´s auch mal, das Eine oder das Andere - Namaste, Christoph Wildfang